Restorative Justice

Begriffliche Einführung

Restorative Justice Begriffliche Einführung

Restorative Justice bedeutet wörtlich übersetzt restaurative oder wiederherstellende Gerechtigkeit, eine gemeingültige deutsche Begriffsübersetzung gibt es leider nicht. Es handelt sich hierbei um einen alternativer Ansatz im Umgang mit Straftaten und erfordert einen Perspektivwechsel.

In dem in westlichen Ländern vorherrschenden Strafrecht stehen bei der Frage nach Gerechtigkeit Tat und Täter im Vordergrund. Es geht in erster Linie um die Strafe für eine begangene Tat und die Vermeidung weiterer Taten durch den erhofften Abschreckungseffekt der Inhaftierung sowie die Bemühungen zur Resozialisierung während und nach der Haftzeit.

Restorative Justice hingegen fokussiert bei der Frage nach Gerechtigkeit  die von einer Tat betroffenen Personen und Beziehungen, die Würdigung und, nach Möglichkeit, die Wiederherstellung entstandener materieller und immaterieller Schäden.

Restorative Justice Heilung und Wiederherstellung

Heilung & Wiederherstellung

Der Kriminologe und Restorative Justice Pionier Howard Zehr hat mit diesem visionären Ansatz unser zeitgenössisches Verständnis von Gerechtigkeit grundlegend verändert.

Wenn Straftaten das Leben und die Beziehungen von Menschen beschädigen oder zerstören, so ist die Aufgabe der Gerechtigkeit anhand dieses Ansatzes die Wiederherstellung dieser.

Restorative Justice spricht sich für ein System aus, welches Heilung und Wiederherstellung priorisiert und dabei die Folgen für alle Tatbeteiligten und deren Beziehungen in den Blick nimmt.

Tatbetroffene und Bedürfnisse

Restorative Justice fragt nach den „Wellen“ einer Straftat: Wer ist betroffen und was brauchen die Betroffenen?

Taten schlagen Wellen und haben Folgen für: Opfer, Täter, nahestehende Bezugspersonen beider Parteien, indirekte Tatbetroffene (bspw. Augenzeugen, Ersthelfer, Anwohner) und die Gesellschaft als Ganzes.

Restorative Justice, so Howard Zehr, ist “ein Prozess, der die von einer konkreten Straftat Betroffenen weitestgehend beteiligt und der gemeinsam Schäden, Bedürfnisse und Verpflichtungen benennt und behandelt, um zu heilen und die Dinge, soweit wie möglich, in Ordnung zu bringen“.

Restorative Justice Tatbetroffene und Bedürfnisse

Vorhaben

Mit unserem Team absolvieren wir eine soziale Bildungsreise mit dem Fokus auf Restorative Justice.

Erfahren Sie hier mehr über Inhalte und Ziele dieses Vorhabens.

Restorative Justice in Südafrika

Restorative Justice ist keine neue Erfindung. In vielen Ländern sind restaurative Ansätze im Umgang mit Straftaten historisch verankert, teils bereits durch Praktiken indigener Völker.

Südafrika ist ein solches Land, das bezüglich des Geistes von Restorative Justice viel zu bieten hat. Es gibt etliche kulturell und historisch verankerte Weltanschauungen und wichtige Persönlichkeiten, von denen wir einiges lernen können. An dieser Stelle sollen nur einige relevante, begünstigende Einflussfaktoren benannt werden.

Restorative Justice Weltanschauung Ubuntu

Weltanschauung „Ubuntu“

Die Lebensphilosophie von „Ubuntu“, übersetzt Menschlichkeit, findet man in vielen Ländern Afrikas in unterschiedlichen Formen vor, vor allem in den sogenannten Bantu-Kulturen. Es handelts sich hierbei um eine kulturell-philosophische Weltsicht, die als gesellschaftlicher Verhaltenskodex dient.

Dabei geht es um ein respektvolles, fürsorgliches Miteinander aus Nächstenliebe und Zusammengehörigkeit. Der Leitsatz “umuntu, ngumuntu, ngabantu” verdeutlicht diesen Gedanken und bedeutet so viel wie “Menschen brauchen Menschen, um Mensch zu sein”.

Nelson Mandela

Diese Weltanschauung hatte sicher auch der Bürgerrechtler und ehemalige Präsident Südafrikas Nelson Mandela inne, bei seinem Kampf für Gleichberechtigung, gegen das Apartheit-Regime und die damit einhergehende Rassentrennung.

Auch er prägte den Geist von Restorative Justice. Er erhielt später den Friedensnobelpreis für seine Bemühungen, die zerrissene Gesellschaft und die untereinander verfeindeten Bevölkerungsgruppen miteinander zu versöhnen.

Er setzte sich nach Beendigung der Apartheit für Chancengleichheit, Bildung und Wiedervereinigung sowie Wiederaufbau seines Landes ein. Verachtung galt bei ihm Rassismus, Gewalt, Machtmissbrauch und Ausbeutung, aber nicht den Menschen – also den Taten, nicht den Tätern.

Auf menschlicher Ebene sprach er sich im Sinne von Ubuntu und Restorative Justice mit Blick auf die Zukunft für Frieden, Versöhnung und Wiedergutmachung aus:

„Niemand wird geboren, um einen anderen Menschen zu hassen. Menschen müssen zu hassen lernen und wenn sie zu hassen lernen können, dann kann Ihnen auch gelehrt werden zu lieben, denn Liebe empfindet das menschliche Herz viel natürlicher als ihr Gegenteil.“

Restorative Justice Nelson Mandela
Restorative Justice Wahrheits- und Versöhnungskommision

Wahrheits- und Versöhnungskommission

Nach dem Ende der Apartheid, einem politischen System der staatlich festgelegten und organisierten Rassentrennung, Diskriminierung und Unterdrückung, wurde die sogenannte Truth and Reconciliation Commission (TRC), die Wahrheits- und Versöhnungskommission gegründet.

Ziel der Kommission war es, in öffentlichen Anhörungen der Angeklagten und Opfer politisch motivierte Verbrechen wie Verfolgung, Folter und Morde durch die südafrikanischen Sicherheitsbehörden aufzuklären und dabei Opfer und Täter in einen Dialog zu bringen.

Zum Thema wurde aber nicht nur die Gewalt von Weißen (primär von Polizei und Militär) gegenüber Schwarzen, sondern auch die Gegengewalt von Schwarzen (hauptsächlich des militärischen Flügels der politischen Organisation African National Congress, ANC, Umkhonto we Sizwe, „Der Speer der Nation“) gegenüber Weißen, und die Gewalt von Schwarzen untereinander (Uneinigkeit und Machtkämpfe politischer Organisationen im Widerstand gegen das aktuelle System).

Die Angeklagten erhielten Amnestie, wenn sie ihre Taten vollständig gestanden und den Opfern wurde finanzielle Hilfe versprochen. Ziel war die Versöhnung innerhalb der zerrütteten und geschändeten Gesellschaft, die Vermeidung eines Bürgerkriegs sowie ein möglichst vollständiges Bild von den Verbrechen unter dem Apartheid-Regime zu erlangen.

Mit dem Fokus auf Heilung sollte durch Wahrheitsfindung und Verantwortungsübernahme eine Grundlage für die Versöhnung der zerstrittenen Bevölkerungsgruppen geschaffen werden. Vorrangig waren Anhörung, Wahrnehmung und Anerkennung des erlebten Leids des jeweils anderen.

Darin spiegeln sich auch die Ideale Mahatma Gandhis, der über zwei Jahrzehnte in Südafrika gelebt und nach seinen Prinzipien des Satyagraha gewirkt hatte: Nicht die Konfrontation, sondern die Wahrnehmung des jeweils anderen, seiner Erlebnisse und den damit verbunden Gefühlen und Bedürfnissen stand im Vordergrund.

Restorative Justice TRC Truth and Reconciliation Commission
Restorative Justice Desmond Tutu

Desmond Tutu

Der Erzbischof und Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu, sagte in seiner Rede anlässlich der Ernennung zum Vorsitzenden der Wahrheits- und Versöhnungskommission am 30. November 1995 folgendes:

„Ich hoffe, dass die Arbeit der Kommission Wunden öffnen wird, um sie zu reinigen, und sie dadurch vor dem Eitern bewahren wird. Wir können nicht oberflächlich sein und sagen, dass die Vergangenheit begraben ist, weil sie nicht begraben sein wird und uns verfolgen wird. Wahre Versöhnung ist nie billig, weil sie auf Vergebung basiert, die teuer ist. Vergebung wiederum hängt ab von Reue, die auf der Anerkennung von falschem Handeln basiert, und damit auf der Enthüllung der Wahrheit. Man kann nicht vergeben, was man nicht weiß.“